Wege in die Selbstständigkeit | Career Talk #2
Der Career Talk ist eine gemeinsam Gesprächsreihe von NXT A und New Monday. Darin blicken wir gemeinsam in die Arbeitswelt von ArchitektInnen. Im 2. Career Talk beschäftigen wir uns mit dem Thema Selbstständigkeit bei ArchitektInnen.
Leonard Schrage von Living Systems
Leonard Schrage studierte Architektur an der TU München sowie an der Architectural Association in London. Bereits seit seiner Schulzeit arbeitet er selbstständig – innerhalb sowie außerhalb der Architekturbranche. Er ist Teil des dreiteiligen Gründerteams von Living Systems, ein interdisziplinäres Research- und Designbüro mit systemischem Ansatz. Gemeinsam mit seinen Kollegen Martin Bittmann und Lucas Krupp vereinen sie ihre Kompetenzen und Erfahrungen aus den Bereichen Innovation und Digitalisierung, Projektentwicklung und Real Estate sowie nachhaltiges Bauen und Forschung mit Fokus auf Holzbau.
Ihr Schwerpunkt liegt auf der Implementierung ganzheitlicher Konzepte im Bereich Architektur und Urban Design. Dabei achten sie vor allem auf skalierbare, digitale Ansätze und alternative Geschäftsmodelle sowie auf eine nachhaltige Umsetzung. Schon während der Vorstellungsrunde gibt Leonard Schrage den ersten wichtigen Tipp für Gründer: „Wir haben uns relativ lange mit der Gründung beschäftigt, denn ein solches Vorhaben braucht Zeit. Es ist eine Entwicklung und ein langer Dialog.“ Das Kernteam von Living Systems hat sich 2009 kennengelernt. „Drei Jungs, die in der Mitte ihres Studiums standen“, erzählt Leonard Schrage.
Nach vielen gemeinsamen Projekten und Architekturbiennalen, kam dann der entscheidende Moment: „2019 hatten wir eine Residence in Island in den West-Fjords, der uns aus unserem Alltag herausbrachte und Zeit gab, ein Manifest zu entwickeln, was wirklich die Essenz der Erkenntnisse aus unserer individuellen Arbeit in der Zeit davor nochmal zusammengefasst hat und die Grundlage für unsere Gründung bildete.“ Heute arbeitet das Team von den drei Standorten Berlin, München und Zürich aus miteinander. Die Kommunikation findet dabei überwiegend online statt.
Philipp Valente von Less Plus
Philipp Valente gründete sein Architekturbüro Less Plus in Dortmund, seinem Geburtsort, gleich nach seinem Studium an der Technischen Universität München. Er arbeitete mit renommierten Architekturstudios wie Nikken Sekkei in Tokio (Japan), RCR Arquitectes in Olot (Spanien) und Peter Haimerl Architektur in München zusammen. Derzeit lebt und arbeitet er als Architect in Residence Fellow der Jungen Akademie in Berlin.
„Meine Entwicklung und meine architektonische Vorstellung setzt sich sehr stark mit dem Ort auseinander. Genau aus diesem Grund fiel die Wahl auf RCR oder Kengo Kuma. Der Ort, an dem wir bauen und die Auseinandersetzung damit, ist mir sehr wichtig“, erklärt Philipp Valente. „Peter Haimerl hat mir dies nochmal stärker gezeigt: Wir haben zusammen viel im Bayerischen Wald gebaut. Mir fehlte allerdings die Verbindung zum Bayerischen Wald. Ich bin dort nicht aufgewachsen – im Gegensatz zu Peter Haimerl. So war für mich die Konsequenz, zurück nach Dortmund zu gehen.“
Für Peter Haimerl arbeitete Philipp Valente drei Jahre. In diesen Jahren lag der Fokus vor allem darauf, selbstständiges Arbeiten zu erlernen. „Das Büro von Peter Haimerl ist als großflächige Ebene angelegt: Jeder Architekt hat eigene Projekte und arbeitet selbstständig unter der Schirmherrschaft von Peter Haimerl. Aus diesem Grund war der Schritt in die Selbstständigkeit für mich keine große Umstellung.“ Auf die Theorie konzentrierte sich Philipp vor allem im Studium, Praxiserfahrungen sammelte er nebenbei. „Ich habe immer versucht, in Architekturbüros zu arbeiten. Dort sammelt man einfach die besten Erfahrungen, um sich selbstständig machen zu können.“
In Dortmund findet seit 1980 ein Strukturwandel statt: Die Industriekultur, die sich hier aufgrund der Kohlevorkommen entwickelt hatte, ist seit 1980 nicht mehr wirtschaftlich gewesen und wurde zu Brachen. Diese Brachen entwickeln sich nun mehr und mehr zu neuen Wohnprojekten. „Es entwickelt sich in eine Richtung, die die wenigsten Architekten gutheißen würden. Trotz allem werden diese Bauten mit Städtebaupreisen ausgezeichnet. Genau das ist mein Ansatz: Ich versuche als junger Architekt im Ruhrgebiet etwas zu bewegen und mich der Thematik anzunehmen. Denn der Strukturwandel nimmt eine Richtung an, die ich selbst nicht vertrete. Mit meinen Projekten versuche ich entgegenzuhalten.“
Wettbewerbe als Startschuss für die Architektur-Karriere?
In der Vorstellungsrunde verrät uns Philipp, dass er als Selbstständiger viele kleine Projekte wie Umbauten angeht, die für ArchitektInnen zu Beginn sehr interessant sind, um im kleinen Maßstab eigene Visionen umzusetzen. „Auch Wettbewerbe sind sehr hilfreich, um eigene Visionen an großen Bauten anzuwenden. Über kleinere Wettbewerbe schafft man es in Kooperation mit einem etablierten Büro aus der Region an größere Bauvorhaben zu kommen. Man selbst rutscht so in Verfahren hinein, testet gleichzeitig die Zusammenarbeit mit dem Büro aus und kann so sogar kleinere Projekte akquirieren.“
In der anschließenden Gesprächsrunde gab es zum Thema Wettbewerb unterschiedliche Meinungen. Sind Wettbewerbe noch der Schlüssel zum Erfolg – oder sollten junge ArchitektInnen das System kritischer hinterfragen und nicht sogar versuchen zu ändern? Für Philipp Valente sind Wettbewerbe ein wichtiger Erfolgsfaktor in seiner Selbstständigkeit. Ein Umdenken würde bereits stattfinden, so Philipp Valente. Er ist der Meinung, dass die Architektenkammern sich bereits dafür einsetzen, besonders jungen Büros die Teilnahme zu erleichtern. Leonard Schrage und Living Systems lehnen die Teilnahme an Wettbewerben dagegen grundsätzlich ab: Es gebe mittlerweile auch andere Wege zum Erfolg.
Unabdingbar für die Selbstständigkeit: Netzwerken
Einig sind sich beide Architekten, dass Netzwerken in der Selbstständigkeit ein essentieller Erfolgsfaktor ist. Philipp hält nichts von Konkurrenzdenken: „Wir sollte viel mehr in Kooperationen miteinander arbeiten. Die Architektur entwickelt sich immer weiter und wird immer komplexer. Ich glaube, dass eine einzelne Person – oder ein einzelnes Büro – viele Bauaufgaben nicht mehr alleine bewältigen kann. Die Kooperation ist da sehr sinnvoll und bringt unglaublich viel Gewinn – auch im kreativen Prozess.“
Wichtig für Leonard und sein Team ist es, besonders als ArchitektIn die Fühler nach anderen Themen auszustrecken: „Ich habe vorher viel im Bereich Innovation und Digitalisierung gemacht, d. h. viele digitale Strategien für Unternehmen, Start-Ups, öffentliche Einrichtungen oder Universitäten entwickelt. Martin Bittmann hat viel geforscht und ist unser Holzbau-Experte. Lucas Krupp hat lange im Private-Equity-Bereich gearbeitet und dadurch die Finanzwelt verstanden. Das ist zum einen durch unser Interesse entstanden, aber auch durch Frustration des Status Quo. Als junges Büro hat man einen schwierigen Einstieg in die Wettbewerbswelt und muss sich wirklich sehr abarbeiten. Unser Ansatz ist es, durch ein größeres Verständnis, auch außerhalb der Architekturbranche, Dinge, die wir in anderen Welten gelernt haben, wieder in die Architektur zurückzuholen und diese aufzufrischen.“
Im Gespräch standen nicht nur Erfolgsgeschichten und Vorteile der Selbstständigkeit im Vordergrund. Philipp und Leonard sprachen ganz ehrlich über Nachteile sowie über Situationen, die schief gelaufen sind oder unbequeme Situationen hervorriefen. Schaut hinein – es lohnt sich!
Viele weitere Tipps der beiden und den gesamten Career Talk findet Ihr in der Mediathek von NXT A. Sowohl Leonard Schrage als auch Philipp Valente sind gerne bereit weitere Fragen von Euch per E-Mail zu beantworten. Leonard erreicht Ihr über leonard.schrage@living.systems sowie über Instagram, Facebook oder Twitter. Philipp könnt Ihr über studio@lessplus.de kontaktieren.
Tipps für einen erfolgreichen Weg zur Selbstständigkeit als Architekt
- Netzwerken, Netzwerken, Netzwerken! Denkt in Kooperationen und nicht in Konkurrenz und tauscht Euch mit anderen selbstständigen ArchitektInnen aus
- Unterschiedliche Verbände und Organisationen beraten selbstständige Architekten. Dies sind Eure Anlaufstellen für einen guten Start:
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Die Gründerplattform richtet sich zwar nicht explizit an PlanerInnen, bietet aber viele Tipps zu Gründungszuschüssen und Finanzierungsmöglichkeiten.
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Die VfA-Vereinigung freischaffender Architekten vertritt die Interessen der freischaffenden Hochbau-, Innen-, Landschafts- und Städtebauarchitektinnen und –architekten. Bei Fragen helfen Sie Euch telefonisch schnell und unkompliziert weiter.
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Informiert Euch über Finanzierungsmöglichkeiten – vom Existenzgründerzuschuss vom Arbeitsamtsamt, über Gründerdarlehen hin zu Stipendien. Es gibt unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten in die Selbstständigkeit zu starten. Die oben genannten Verbände können Euch dabei helfen.
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Informiert Euch auch bei den Architektenkammern. Die Architektenkammer Baden-Württemberg bietet zum Beispiel Seminare zum Thema Selbstständigkeit und strukturiertes Grundlagenwissen an. In NRW hat die Architektenkammer eine übersichtliche Broschüre zur Existenzgründung verfasst.
Tipp: Mehr über Living Systems erfahrt Ihr in dem Community Check #16. Philipp Valente berichtet mehr über seine Projekte in der Project Story #4. Lust beim nächsten Talk dabei zu sein? Am 10. März 2021 sprechen wir über 12:30 über die Architektinnen: Wie können sich Architektinnen in einer (noch) männerdominierten Domäne durchsetzen? Hier geht es zur Anmeldung.