Berichte eines Home-Officers – Tag 12
Tag 13 - Home Office als Kulturkrise
...noch ne Krise? Ja, Kulturkrise! Aber wie ist das jetzt gemeint und was hat es mit Home Office zu tun – dem Dasein am Küchentisch, dem Schicksal, seine Arbeit in die heimischen vier Wände verlegen zu müssen? Und wovon ist die Rede? Persönliche Kultur? Kultur der Gemeinschaft? Öffentliche Kultur, Alltagskultur, Stadtkultur? Alle Veranstaltungen sind abgesagt. Wenn man nach Feierabend spazieren geht, erkennt man schnell den Ausnahmezustand in der Stadt, die Leere, die Polizei, die Krankenwagen, wie jetzt Besuche ablaufen: Leute stehen auf der Straße und unterhalten sich mit Freunden auf dem Balkon im 4. Stock.
Aber dies ist eine Home-Office-Kolumne und daher ist es wichtig, darüber zu sprechen, wie sich die räumliche Verbundenheit der Sphären Arbeit und Freizeit auf das Kultur auswirkt. Oder auf das, was man unter diesen Umständen als Kultur verstehen darf, auch auf die Arbeitskultur. Zunächst könnte man Kultur auch in diesem Sinne als ein Zusammenkommen von Menschen, ein Entwickeln und eine Weitergabe von gestaltenden Praktiken beschreiben. Die italienischen Balkonkonzerte, bei denen Gemeinschaftsgefühl, soziale Nähe, Lebensfreude und Musik quer über den Hof und die Straße stattfinden sind ein beredtes Beispiel einer Übersprunghandlung, um genau das zu erzeugen, was allein in den eigenen vier Wänden nicht machbar ist. Im Arbeitsalltag aber ist es eine Herausforderung zu vermeiden, dass die Krise, zu sehr das Bewusstsein bestimmt. Man läuft Gefahr, erst spät zu erkennen, dass dieses Denken beginnt, den freien Blick zu verstellen, nicht unbedingt zu kreativer Offenheit beiträgt und allgemein eine problematische Brille ist, die Welt zu betrachten. Um so wichtiger wird es, die Kultur der Zusammenarbeit, des Miteinanders, der Anteilnahme und des Austauschs soweit möglich vom heimischen Arbeitsplatz aus zu pflegen. Dazu gehört sich gegenseitig zum Experimentieren zu ermuntern, sich zu versichern, dass Ergebnisse nur unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes bewertet werden und, vielleicht am wichtigsten, Kollegen und Mitarbeitern ein allgemeines partnerschaftliches Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Ohne das ist es unmöglich ist neue Ansätze und das freie Arbeiten zu entwickeln. Zusammenarbeit im Weiteren und Architektur- und Raumproduktion im engeren Sinne sind schwer denkbar ohne Risikobereitschaft, Experimentierfreude und Neugier, Werte, denen Sicherheitsdenken und Furcht entgegenstehen. Jedem muss klar sein, dass Krisen auch Phasen von Neubewertung, Initiative und dem Aufbruch zu neuen Ufern sind. Irgendetwas kann jeder tun. Und wie alle wissen fängt das schon vor der eigenen Haustür an! Melania Trump reagiert auf die Situation in der Welt indem sie einen neuen Tennispavillon für das Weiße Haus beauftragt. Im neoklassizistischen Stil. Leider nicht an mich.
Über den Autor:
Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.
Illustration: Juri Agostinelli