Berichte eines Home-Officers – Tag 13

Woher nimmt man in diesen Tagen Inspiration, wenn die einzige Ausflucht der Blick aus dem Fenster oder eine Runde um den Block ist? Unser Home-Officer sucht noch. Der Architekt Roman Leonhartsberger schreibt in seiner täglichen Kolumne auf New Monday über die besonderen Herausforderungen in Home-Office-Zeiten. Denn auch er sitzt, wie Tausende von ArchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen, StadtplanerInnen an seinem Ess- äh Schreibtisch.
Veröffentlicht am 07.04.2020

15 – It’s the creativity, stupid! 

Architekturproduktion und Kreativität – ein altbekanntes Streitthema. Manche behaupten ja, die Arbeit an den Häusern, der Stadt und ihren Räumen hätte mehr mit Wissen, Interpolation und Hermeneutik zu tun als mit wirklicher, intrinsischer Kreativität – kann schon sein. Ich halte mich da raus, aber in den (manchmal häufigeren, manchmal selteneren) Momenten, in denen man sich bei der Arbeit kreativ fühlt – manchmal auch einfach beim Schreibtischaufräumen - frage ich mich immer, was zu diesem kurzen Lichtblick in der Düsternis des Emailbeantwortens, Plänekorrigierens und Rechnungensortierens geführt hat. Antwort? Manchmal die eingehende, ernsthafte, fast unter Luftabschluss vorangetriebene Auseinandersetzung mit einem Thema. Ein andermal ein Spaziergang entlang einer unbekannten Straße, ein Sonnenaufgang über einer fremden Landschaft, ein plötzlicher Perspektivwechsel beim Blick aus dem Fenster.

 

Im Homeoffice bleibt die mönchisch-introvertierte Auseinandersetzung, behaftet mit allen Hindernissen in der Enge des trauten Heims – und der Blick aus dem Fenster. Nun geht mein Fenster auf den Hof, ein schöner Hof zweifellos mit vielen Eichhörnchen, welche den Balkon verwüsten, aber eben nur ein begrenzter Ausblick bis zu den Fenstern des Vorderhauses. Wenn ich meinem nach drei Wochen Homeoffice etwas eingerosteten Geist frische Eindrücke verschaffen möchte, muss ich hinaus auf die Straße. Da ist dann schon mehr los, mit etwas Glück, versucht der Paketdienst gerade verzweifelt umzukehren oder die Kids aus dem Nachbarhaus rauchen heimlich hinter dem Trafohäuschen. Wenn das zum Anregen der Hirnrinde noch nicht genügt, muss ich mein Viertel durchqueren, zum Fluss oder zum Park, kurz, eine weitere Schicht Gewohntes hinter mir lassen. Je weiter ich mich vom Epizentrum meines kleinen Schreibtisches entferne und je weiter ich dieses Schalenmodell des Gewohnten nach außen durchdringe, desto mehr hoffe ich, neue Eindrücke zu finden, die bei der Entwicklung neuer Ideen behilflich sein können. Dieses Umherstreifen ist auch ein Erkennen der Gefangenheit im eigenen System des mehr oder weniger Bekannten und löst bei mir meistens den Reflex aus, auf Reisen zu gehen, was momentan leider so schwer ist … Und doch bleibt es der einzige Ausweg: Ausbrechen! Eine Kollision mit unbekannten Himmelskörpern, ein Erwachen aus dem Dornröschenschlaf der Heimarbeit, eine radikale Frischzellenkur, eine kopernikanische Wende hin zu Sphären neuer Erkenntnisse! Erstes Ziel auf dem Weg, um Leerfahrten zu vermeiden: Wertstoffhof.

Über den Autor:

Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.

Illustration: Juri Agostinelli

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