Berichte eines Home-Officers – Das Wochenende
Das „Wochenende“
Gruppen, denen es aus der Natur ihres Broterwerbs heraus unmöglich ist, tagelang ihre Tätigkeit auszusetzen (Hirten, Krieger, Wirte, Architekten) entwickeln meist ursprünglich anmutende, heidnisch gefärbte Rituale, um den „Werktag“ vom „Sonntag“ zu unterscheiden, Gottheiten zu huldigen und das Leben zu rhythmisieren. Gewisse soziale Regeln sind an diese Differenzierung der Tage geknüpft, die Gewerkschaften haben dann noch für viele Branchen den arbeitsfreien Samstag erkämpft, dafür gibt es jetzt Fussgängerzonen und Sportbedarfsfachmärkte. In einer säkularen Gesellschaft fällt dann noch der Gottesdienst weg. Wenn aber jetzt noch der Sportbedarfsfachmarkt geschlossen bleibt und man insgesamt am besten zu Hause bleiben sollte – oder muss – wird es schwierig.
Es war auch schlechtes Wetter. Das Beste am schlechten Wetter ist nämlich sagen zu können, man gehe ohnehin am liebsten ins Museum und danach ins Café oder gar „endlich muss man mal nicht rausgehen“. Das fällt beides weg. Die Kolumne hat man auch schon geschrieben, hätte man doch nur auch Beiträge für die Wochenendtage vereinbart. Es gibt nur noch wenige Rituale, die in unserer modernen, materialistischen Lebenswelt dem Wochenende vorbehalten sind, falls man kein Haus am See sein eigen nennt (oder einen Prepper-Bunker im Harz) und interessanterweise sind viele davon saisonalen Charakters, so beispielsweise das sogenannte Ausmisten. Und selbst das geht jetzt auch unter der Woche während dem Homeoffice, merkt der Chef ja nicht. Aushang schon am Donnerstag am Zeitungsverkauf: „RUN AUF DIE WERKSTOFFHÖFE!“. Na ich hoffe das ist jetzt alles noch rechtzeitig weggekommen. Die Ikea-Seite ist wegen Überlastung jedenfalls nicht mehr zu erreichen, ich lege eine seichte Jazzplatte auf und beginne, den Ficus zurückzuschneiden, nachher Staubsaugen.
Über den Autor:
Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.
Illustration: Juri Agostinelli