Berichte eines Home-Officers – Tag 5
Tag 5 – Gepflogenheiten der Großstadt
Ganz ist das strikte Ausgangsverbot leider aus technischen Gründen nicht einzuhalten. Ein Freund hat sich unser Auto (Benzin) geliehen für einen kurzen Skiurlaub (in Italien) und uns dafür sein Auto (Batterie) dagelassen. Italien, richtig. Schon ein paar Tage her. An sich kein Problem, leider passt der Batteriebetriebene nicht in die Tiefgarage, deswegen muss er regelmäßig umgeparkt werden, wegen Parkgebühr, Parkscheibe, ich erspare euch die Details. Regelmäßige Spaziergänge zum Fahrzeug, 50 Zentimeter vor fahren (wir sind ja keine Anfänger), Parkscheibe drehen, ganz leicht peinlich berührter Rückweg. Alle paar Tage mal zur Ladesäule. Wirklich gefahren wird das Ding so gut wie nie. Immerhin bilden diese regelmäßigen Ausflüge eine gewisse Rhythmisierung des mittlerweile doch drögen Heimgewerbes und einen stichprobenartigen Blick auf das städtische Leben, oder das was von ihm übrig ist.
Die Gemälde des Impressionismus zeigen immer alle in Rüschenrock, Frack und Zylinder auf dem Boulevard. Alle. Die konnten unmöglich alle auf dem Weg in die Oper sein. Es ging also um eine gesellschaftliche Konvention, niemand aus dem Bürgertum wäre auch nur Zigaretten holen gegangen ohne gestärkten Kragen. Abgesehen davon, dass das sowieso vom Personal erledigt worden wäre. Eine gesellschaftliche Konvention dieser Tage besteht im Versuch den Anteil am knappen städtischen Raum, den das Fahrzeug unweigerlich beansprucht, wenigstens nicht auch noch zum Anlass für Bußgeldbescheide werden zu lassen. Zum Ausgleich ist man im Treppenhaus besonders freundlich. Ich habe auch schon öfter meinen Kollegen aus der Nachbarschaft herumgefahren, damit er nicht in die U-Bahn muss. Ich biete das auch immer wieder an. Mittlerweile klingt er etwas genervt am Telefon – bestimmt wegen Homeoffice.
Über den Autor:
Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.
Illustration: Juri Agostinelli