Architektur vs. Corona: die digitale Bauabnahme
Das neuartige Corona-Virus stellt die Welt, wie wir sie kannten auf den Kopf. Auch die Baubranche ist betroffen. ArchitektInnen müssen sich ganz neuen Herausforderungen stellen. Das kann schon mal zu Kopfzerbrechen führen. Insbesondere in den Branchen, die scheinbar wie schlafende Riesen in puncto Digitalisierung hinterherhinkten. Die gute Nachricht: Vieles läuft schon ziemlich gut und mit ein bisschen Mut und Engagement werden aus neuen Herausforderungen wertvolle Chancen für die „Zeit nach Corona“. Deshalb stellen wir heute ein Positivbeispiel vor.
Der Neubau der Kindertagesstätte „Glückskinder“ im nordrhein-westfälischen Wevelinghoven stellt das Architekturbüro „SCHMALE architekten“ als verantwortliche Planer und die „Evangelische Jugend und Familienhilfe“ als Betreiber gleichermaßen unter Druck. Denn auch außerhalb von Corona müssen in kürzester Zeit neue Kitas aus dem Boden gestampft werden.
Das hat bisher ziemlich gut geklappt. In Rekordzeit wurden in Modulbauweise mehr als 900 Quadratmeter Nutzfläche für die „Glückskinder“ fertiggestellt – zwischen Spatenstich und Schlüsselübergabe lagen gerade mal fünf Monate Bauzeit. Wäre da nicht die Bauabnahme, die auch in normalen Zeiten zu einer besonderen Herausforderung werden kann. Eine Verzögerung steht nicht zur Diskussion, denn pünktlich im April startet die Kita-Notbetreuung.
Die Außenraumgestaltung fehlt zwar noch, aber danke gelungener Bauabnahme können die ersten Kita-Kinder in die Corona-Notbetreuung. Bild: Schmale Architekten
Die ArchitektInnen von SCHMALE architekten denken kurzerhand um, und gestalten die Bauabnahme digital. Aber welche Herausforderungen bringt eine digitale Bauabnahme? Und was können wir daraus für die Zukunft mitnehmen? Im Interview spricht Michael Müller, Projektleiter bei SCHMALE architekten, über Lösungen. Aus seiner Sicht war der Prozess zwar „weniger spektakulär“, dennoch ist die digitale Bauabnahme ein klares Zeichen, dass viel mehr digitale Prozesse in der Baubranche möglich sind – und dazu auch gar nicht mal so kompliziert, wie gedacht.
Herr Müller, wie kam es zur Idee, eine Bauabnahme digital zu gestalten?
Als Maßnahme im Rahmen der Corona-Krise bekamen wir durch die Stadt Grevenbroich die Anweisung, so wenig Baustellentermine wie möglich wahr zu nehmen. Natürlich werden weiterhin mit Mindestabstand handwerkliche Arbeiten ausgeführt, Möbel aufgebaut, aber Bauabnahmen sollten eigentlich nicht mehr durchgeführt werden. Trotzdem musste die Kita pünktlich zur Nutzung freigegeben werden.
"Eine korrekt zufallende Brandschutztür kann man nur im Video und nicht im Foto prüfbar dokumentieren."
Wie genau hat der Prozess bis hin zur finalen Bauabnahme funktioniert?
Die größte Hürde war tatsächlich herauszufinden, wie man gewisse Informationen auf eine andere Art und Weise darstellen kann. Wir haben hauptsächlich Fotos und Videos bereitgestellt, beispielsweise von der Positionierung und Anzahl der Feuerlöscher. Oder in Kombination mit einem Zollstock gezeigt, dass das lichte Durchgangsmaß stimmt. Hier muss individuell das richtige Medium eingesetzt werden. Eine korrekt zufallende Brandschutztür kann man nur im Video und nicht im Foto prüfbar dokumentieren. Da müssen wir neue Wege gehen und anders denken.
Haben Sie auch eine Videokonferenz für die Bauabnahme in Betracht gezogen?
Alternativ haben wir tatsächlich eine Live-Begehung als Videotelefonat angeboten, bei der man direkt auf Nachfragen reagieren könnte. Am Ende war es allerdings so, dass wir hauptsächlich eine Fotodokumentation hergestellt haben, die dann per E-Mail ausgetauscht wurde. Dabei haben wir jeden Raum durch ein übergeordnetes Foto dokumentiert, und dann durch relevante Detailaufnahmen erweitert. Die Stadt konnte Nachforderungen stellen, die wir ebenfalls fotografisch dokumentiert haben. Der ganze Prozess war dann in schon drei Runden erledigt.
Welche Formate haben Sie verwendet?
Fotos, E-Mail und vor allem: viele Telefonate…
"Im Prinzip ein Standardprozedere."
Wer war am Prozess beteiligt?
Das waren wir als Architekten, die Stadt Grevenbroich, insbesondere das Bauordnungsamt, Fachplaner, Brandschutzsachverständige und der Vermessungsingenieur. Im Prinzip ein Standardprozedere.
Gab es so eine digitale Bauabnahme schon mal in der Vergangenheit?
Bei uns gab es so etwas, zumindest in diesem Umfang, noch nicht. Was wir kennen, ist die digitale Kommunikation, wenn kleinere Dinge nachgeliefert werden müssen. Fehlt zum Beispiel ein Schild an der Brandschutztür, reicht dem Bauamt meistens ein Foto. Für so etwas kommt meistens niemand extra raus. Und genau auf diese bereits bestehenden Prozesse haben wir uns mit der digitalen Bauabnahme bezogen: Eine gewisse Vertrauensbasis ist extrem wichtig, und die gibt es meistens, wenn man schon länger miteinander arbeitet.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen der digitalen Bauabnahme?
Ich glaube, die größte Hürde war, den richtigen Weg zu finden. Zum einen, wie wir unsere Leistungen erbringen können und zum anderen, wie das das Bauamt seinen Pflichten nachkommen kann, um dann guten Gewissens den Haken zu setzen.
Zeichnet die digitale Bauabnahme Potentiale für die Zukunft „nach Corona“?
Ich glaube, für die Zukunft kann es ein guter Weg sein, um Zeit zu sparen und die damit verbunden Kosten. Weniger Vor-Ort-Termine und mehr Video-Konferenzen bedeuten auch natürlich weniger Fahrerei. Das ist dann wiederum besser für die Umwelt.
"Aber gerade jetzt ist eine digitale Bauabnahme ein guter Weg, um aktuelle Projekte an den Start zu bringen."
Könnte man den Prozess standardisiert digitalisieren, um ihn zugänglich und effizient zu gestalten?
Eine Standardisierung ist meiner Meinung nach abhängig von der Komplexität des Projektes. Das meiste muss man im Kontext sehen. Wenn es um sich, ich sag mal, einen einfachen Wohnungsbau handelt, könnte man das machen. Bei komplexeren Projekten empfinde ich die Nähe und direkte Ansprache zwischen Architekten, Fachplaner und Behörde als den besten Weg.
Aber gerade jetzt ist eine digitale Bauabnahme ein guter Weg, um aktuelle Projekte an den Start zu bringen. Die Baubranche kann weiterhin unter bestimmten Auflagen arbeiten und es sollte nicht daran scheitern, dass eine Behörde das Gebäude nicht begehen kann. Bisher haben wir viel gutes Feedback bekommen, und ein paar Kollegen haben so einen Prozess bei ihren zuständigen Ämtern vorgeschlagen. Abgesehen davon funktionieren ja bereits viele Prozesse digital, zum Beispiel Konformitätserklärungen oder Brandschutzkonzepte.
"Man sieht, vieles funktioniert!"
Nun mal ganz Allgemein: Wie geht ihr Architekturbüro mit der Corona Krise um? Treffen sie bestimmte Maßnahmen?
Ja, wir treffen eine Menge Maßnahmen. Alle Mitarbeiter können theoretisch im Homeoffice arbeiten. Und für die Arbeit im Büro haben wir eine neue Sitzordnung erstellt, um möglichst viel Abstand halten zu können. So wird zum Beispiel unser Besprechungsraum zum Arbeitsplatz, da wir sowieso keine Besprechungen mehr im Haus machen. Schwieriger wird es natürlich im Bereich der Bauleitung, die muss immer noch vor Ort sein. Hier haben wir insbesondere das Thema Mundschutz und Handschuhe. In einem PKW sitzen maximal zwei Personen und Besprechungen am Bau machen wir – wenn möglich – an der frischen Luft. Viele unsere Auftraggeber sind soziale Träger. Da dürfen die meisten Standorte sowieso nicht mehr betreten werden. In solchen Fällen erledigen wir das meiste per Videokonferenz und in kleineren Präsentationen, die wir digital versenden. Vermehrt schicken wir jetzt auch Skizzen, manchmal sind vier Striche viel aussagekräftiger. Man sieht, vieles funktioniert!
Sehen Sie diese neuen Herausforderungen auch als Chance, wie sich der Arbeitsalltag der ArchitektInnen zukünftig weiterentwickeln kann?
Generell können wir auch in Zukunft viel mehr Zwischenschritte digital präsentieren, und die Fahrerei zu Terminen fällt weg. Das ist natürlich auch ein Umweltaspekt. Auch wird viel Wissen digital zugänglich gemacht. Interessant finde ich zum Beispiel die Vortragsreihe „Architects, not Architecture“. Die Vorträge werden in regelmäßigen Abständen online gestellt, das ist klasse, wenn man mal was nachhören möchte.
Vieles ist digital möglich, es kann aber nicht alles ersetzen. Das ist auch einer der Gründe, wieso wir unter Berücksichtigung aller Sicherheitsvorkehrungen noch im Büro sind: Die Projektarbeit im Team lebt auch vom direkten Austausch mit den Kollegen. Und da ist es oft viel zielführender, gemeinsam auf eine Fragestellung zu schauen.
"Wir müssen in Zukunft das Thema Bauen generell neu denken."
Und welchen Einfluss hat die Pandemie auf Architektur und Städtebau im Allgemeinen?
Wir müssen das Thema Bauen generell neu denken. Wir werden in Zukunft neu über Stadt- und Quartiersstrukturen und Grundrisse nachdenken. Zum Beispiel über das kleine Homeoffice, was optional zu Hause integriert ist und ja auch aktuell als „Recht auf Homeoffice“ diskutiert wird. Aber muss so ein Bereich ein eigener Raum sein? Oder eher ein speziell gestalteter Flur? Oder hat sogar jedes Quartier ein paar solcher Orte, die als „Quartierstreff“ bedarfsabhängig flexibel genutzt werden können? Hier ist dann das modulare Bauen wieder sehr interessant. Auch aus ökologischen Gesichtspunkten. Eins unserer Projekte, die Neusser Zentrale Unterbringungseinrichtung ZUE, besteht aus Stahlmodulen und lässt sich sortenrein trennen, abbauen und sogar umsetzen.