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Architektur und Nachhaltigkeit: "Ästhetische Ansprüche und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus."

Ein Interview mit "Architects for Future" – einer Initiative, die sich für Nachhaltigkeit in der Architektur und Bauwirtschaft einsetzt. Laut Umweltbundesamt verursacht der deutsche Gebäudesektor 30 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland. Seit Juni 2019 plädieren die Mitglieder der Initiative auf architects4future.de in sieben Statements für klimapositive Materialien, Entwürfe für eine offene Gesellschaft und dafür, biodiverse Lebensräume zu schaffen und zu erhalten. Caroline Thaler, 26, hat vor kurzem ihren Master in Architektur an der Universität Aachen absolviert und ist eine der drei Gründerinnen. Carolin Werthmann sprach mit ihr über veraltete Lehrpläne, die Unzufriedenheit der Städter und wie bereits kleine Schritte in der Bauwirtschaft gegen den Klimawandel helfen können.
Veröffentlicht am 26.11.2019

„Architects for Future“ schließt an die Fridays for Future-Bewegung an, eine deutschland- und weltweit von Schülerinnen und Schülern organisierte Protestbewegung gegen den Klimawandel. Ist auch „Architects for Future“ ein Phänomen der Generation Y und Z? 
Klimawandel ist seit Jahren im Bewusstsein der Menschen. Auch die Baubranche diskutiert und entwickelt seit Jahrzehnten mögliche nachhaltige Lösungen. Aber es stimmt, durch die weltweite Bewegung kommt die Thematik der Nachhaltigkeit langsam ernsthaft in allen Branchen an. Den meisten Architekten und Architekturbüros ist bewusst, dass man sehr viel nachhaltiger bauen kann. Viele möchten das auch tun. Das Wissen über die Möglichkeiten fehlt allerdings noch. 
 
Inwiefern? 
Im Mai 2019 war ich auf der Konferenz „Ressourcenwende in der Bauwirtschaft“ in Berlin, organisiert von der re!source Stiftung. Dort wurden zwar viele Lösungen präsentiert, das Problem liegt aber an der Umsetzung. Wenn Interesse an beispielsweise recyceltem Beton besteht, ihn aber nicht genug Unternehmen herstellen, ist das schwierig.
 
SUV-Scham, Flugscham, Fleischscham gibt es bereits. Schämt man sich also bald auch für Beton?
Ich habe von wenigen Leuten mal das Wort „Bauscham“ gehört, aber das hat sich nicht durchgesetzt. Mit so einem Wort schreckt man die Menschen eher ab. Es gibt durchaus Nachhaltigkeitspreise und Regulierungen für geringeren Energieverbrauch in der Gebäudenutzung. Die Politik hat eine Richtung eingeschlagen, die als nachhaltig gesehen wird, aber sie lässt wesentliche Punkte in langfristiger Hinsicht außer Acht.
 
Zum Beispiel?
Oft bekommt man zu hören „Ich hab sowieso kein Geld, wie soll ich mir dann noch Nachhaltigkeit leisten?“ Dem kann man entgegnen, dass die Instandhaltungskosten geringer werden, je langfristiger man plant. Später, im Fall eines Abrisses, sollten die Materialien verkauft werden können. Sie sollten als Gewinnanlage gedacht sein und nicht als Sondermüll.
 

Neben langfristiger Planung fordert ihr in eurem Statement, klimapositive Materialien zu verwenden für eine kreislaufgerechte Konstruktion, wie Holz, Stroh, Schafswolle oder Flachs. Wie lassen sich diese Forderungen nach Nachhaltigkeit mit Wohnraummangel, Mietpreiswahnsinn und noch dazu strikten Brandschutz- und Wärmedämmregulierungen vereinbaren? 
Abrisse hinterfragen! In Städten gibt es Wohnraum, der wird nur leider oft nicht genutzt, weil er für zu hässlich oder zu schlecht gedämmt gehalten und ersetzt wird. Investoren reißen Wohnungen aus den 1950er-Jahren ab und stellen stattdessen Luxuswohnungen hin. Unsere Konsumgesellschaft ist da ein großes Problem. Wir sind nicht zufrieden mit dem, was wir haben, und wollen immer mehr: größere Wohnungen, mehr Quadratmeter und am besten im Neubau. In Städten wie New York stehen wahnsinnig viele Wohnungen leer, weil in den unteren Etagen keiner wohnen will. Ich glaube, wir müssen ganz grundsätzlich unsere Einstellungen überdenken.
 
Und doch wollen und können Städte die ästhetischen Ansprüche ihres Stadtbilds nicht außer Acht lassen. In Architekturwettbewerben werden – nicht ohne Grund – immer noch optisch ansprechende Bauten prämiert. 
Ästhetische Ansprüche und Nachhaltigkeit schließen sich ja nicht aus. Vom Bund ausgeschriebene Wettbewerbe achten bereits sehr auf nachhaltige Konzepte. Gewerbliche Gebäude sind auch nur ein kleiner Teil der Architektur. Problematisch ist vielmehr, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Ausbildung zu kurz kommt. Wenn überhaupt, begegnen den Studierenden an den meisten Unis nur in ihrem Masterstudium Lehrstühle, die sich damit befassen. Der Lehrplan ist seit Jahrzehnten gleich.
 

Caroline Thaler, 26, hat vor kurzem ihren Master in Architektur an der Universität Aachen absolviert und ist eine der drei Gründerinnen von architects for future.

Mit deiner Masterarbeit hast Du Dir dieses Thema dann selbst erarbeitet. Worüber hast Du geschrieben?
Die Arbeit heißt „An der Bruchkante“ und geht über den Hambacher Forst. Ich habe mich mit dem Ort befasst, wofür er bekannt ist oder wodurch er bekannt wurde. Es ging darum herauszufinden, wie man mit architektonischen Mitteln diesen Ort nutzen kann, um der Gesellschaft seine Bedeutung zu vermitteln. Die Auseinandersetzung damit hat mich erst auf den Pfad der Nachhaltigkeit in der Bauindustrie gebracht. Ich habe die Arbeit zusammen mit einem der Kommilitonen geschrieben, mit denen ich auf der re!source-Konferenz in Berlin war. Zusammen mit einer weiteren Kommilitonin haben wir dann „Architects for Future“ gegründet. 
 
Wie genau kann man sich diese Gründung vorstellen? 
Wir haben eine Schirmherrin gefunden, Professorin Annette Hillebrandt von der Uni Wuppertal. Sie ist genial darin, Leute zu motivieren und Dinge anzupacken. Wir wurden von ihr nach Wuppertal eingeladen, um dort eine offizielle Gründung der Initiative zu machen. Einen Tag vorher ist unsere Website online gegangen. 
 
Was ist eure Bilanz seitdem? 
Bis heute haben wir 922 Unterschriften gesammelt und 17 Ortsgruppen quer durch Deutschland gegründet, mit 85 aktiven Mitgliedern und Mitgestaltern gemischter Altersgruppen. Der Großteil der Mitglieder ist seit fünf Jahren mit dem Studium fertig und im Berufsalltag.
 
Wie sieht dieses Mitgestalten konkret aus? 
Der tägliche Austausch funktioniert über Chats, Skype-Gespräche und Telefonate. Was wir jetzt veranstalten wollen, sind monatliche inhaltliche Treffen. Ich selbst arbeite momentan nur zwei Tage pro Woche und kann den Rest meiner Zeit für „Architects for Future“ aufwenden. Ich kümmere mich um die Inhalte der Website und um internationale Kommunikation. Wir haben Anfragen aus Österreich und der Schweiz, dort soll es ähnliche Initiativen geben. 
 
Gibt es weitere internationale Vorreiter oder Nachahmer?
„Architects declare“ ist kurze Zeit nach uns aufgekommen. Dahinter stehen englischsprachige Architekturbüros, die sich zusammengeschlossen haben, um – ähnlich wie wir – Ziele aufzulisten, die die Branche verfolgen sollte, um nachhaltiger zu sein. Es ist gut, wenn jedes Land seine individuellen Forderungen verbreitet, denn jedes Land hat andere Anforderungen an die Bauwirtschaft. Deshalb unterstützen wir auch sehr die Entwicklung von „Architects for Future“ in Österreich und in der Schweiz.
 
Was kann man nun mit einer Unterschrift erreichen? Unterschrieben ist ja – vor allem digital – recht schnell. 
Zunächst einmal unterstützt man damit unser Statement und unsere Forderungen und sorgt dafür, dass sie öffentlichkeitswirksamer werden. Je mehr Leute ihre Unterschrift beitragen, desto aufmerksamer werden Medien und Öffentlichkeit. Am Ende sind es dann nicht nur drei Absolventen, die sich das ausgedacht haben, sondern mehrere hundert Leute, die dahinterstehen. 
 
Ihr habt eine Wissensdatenbank geplant, die Best-Practice-Beispiele abbildet, um Nachhaltigkeit im Berufsalltag zu demonstrieren. Bislang sucht man allerdings vergeblich nach diesen Beispielen. 
Es gibt leider noch kein positives Beispiel für ein Gebäude, das ressourcenschonend und energiesparend zugleich ist. Selbst wenn man ein Gebäude komplett bestehen lässt und die Materialien alle wiederverwendet: Wir brauchen ja trotzdem Energie, um das Gebäude umzubauen. Letztlich wollen wir auch mehr als diese Best-Practice-Beispiele bieten. Wir wollen kleine Schritte aufzeigen, die dem Architekten helfen können, seinen Alltag nachhaltiger zu gestalten. 
 
Welche kleinen Schritte können das sein? 
Als Architekten haben wir eine Beraterfunktion und sollten dem Bauherrn mindestens einen nachhaltigen Vorschlag aufzeigen. Er kann sich für nachhaltige Bodenbeläge und Fassaden und einen Holzbau entscheiden. Vielleicht kann der Rohbau des vorherigen Gebäudes bewahrt oder zumindest seine Abbruchmaterialien für das neue Gebäude genutzt werden. Es schreckt ab und hemmt, wenn man glaubt, dass man nur mit 100-prozentiger Nachhaltigkeit etwas erreichen kann. Es ist wichtig, dass die breite Masse diesen Wandel schafft und nicht allein Nachhaltigkeits-Architekten, die versuchen, ihre Bauherren zu überzeugen.

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