Lieber wieder Architektin – Best practices aus dem Norden
Nur zwei Drittel der Architekturabsolventinnen landen tatsächlich im Beruf
Während des Architekturstudiums ist das Verhältnis von Frauen und Männern noch ausgewogen, an manchen Universitäten sogar weiblich dominiert. Ganz anders sieht es nach dem Studium und im Beruf aus. Vor und in den ersten Jahren im Job pausieren oder beenden viele junge Architektinnen ihre Karriere. Die „2016 Equity in Architecture Survey“ von TM32PP und des American Institute of Architects San Francisco spricht dabei von „the missing 32%“ . Und wenn Architektinnen in der Branche bleiben, besetzen nur wenige von ihnen höhere Positionen.
Die Architekturbranche hinkt hinterher, wenn es um faire und inklusive Arbeitsbedingungen geht. Lange Arbeitszeiten bei geringer Bezahlung, Nachtschichten, ein hohes Maß an Flexibilität und meist unbezahlte Praktika sind die Regel, sogenannte „all-male-panels“ bei Architekturveranstaltungen keine Ausnahmen. Zwar treffen prekäre Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen gleichermaßen zu. Trotzdem ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Frauen häufig ein deutlich größeres Hindernis. Auch Modelle, wie die Frauenquote, werden an langen Arbeitszeiten nichts ändern.
Aber: Es bewegt sich was in puncto Geschlechtergleichheit!
Die gute Nachricht ist: Geschlechtergleichheit in der Architektur setzt sich in Bewegung. Deutsche Initiativen und Netzwerke, wie zum Beispiel Frau liebt Bau, n-ails und PIA Netzwerk, setzen sich dafür ein, dass die Arbeit von Architektinnen sichtbar werden und Aufmerksamkeit bekommen. In Diskussionspanels, globalen Awards und auch in Unikritiken taucht nun auch die eine oder andere Architektin auf. Die Herausforderung geht jedoch über das Sichtbarmachen von Architektinnen hinaus: Die Architekturbranche braucht eine neue Arbeitskultur und vor allem gute Vorbilder.
Gehaltsunterschiede für Architekten und Architektinnen
Architektinnen verdienen im Durchschnitt weniger als ihre männlichen Kollegen und besetzen seltener höhere Positionen. Das zeigte eine Umfrage der Architektenkammer Baden-Württemberg. Doch auch bei gleicher Leistung und Stundenanzahl können sich die Gehälter deutlich unterscheiden. Sind die Gehälter intransparent, fällt dieser Unterschied meist gar nicht auf. Island ist seit letztem Jahr das erste Land weltweit, das Unternehmen mit 25 oder mehr MitarbeiterInnen dazu verpflichtet nachzuweisen, dass sie Frauen und Männer für die gleiche Arbeit gleich bezahlen. Können Unternehmen das nicht nachweisen, müssen sie mit Geldbußen rechnen.
Auch Initiativen, die öffentlichen Druck aufbauen, hatten bisher große Wirkung. Ein Beispiel ist „Move the Needle“ des Londoner Architekturmagazins Dezeen. Seit 2018 setzt sich die Initiative für mehr Gleichstellung der Gehälter in Architektur und Design ein. Im Zusammenhang mit „Move the Needle“ hat zunächst das Architekturbüro Foster + Partners geschlechtsspezifisches Lohngefälle erkannt und verbessert. Weitere renommierte Büros folgten.
„Use it or lose it“ in Schweden
Nach der Elternzeit haben meist Mütter größere Schwierigkeiten wieder in den Beruf einzusteigen und verdienen danach oft weniger. In Deutschland haben zwar beide Elternteile ein Recht auf bezahlte Elternzeit. Trotzdem nehmen meist Mütter einen Großteil dieser Zeit in Anspruch. Schweden verfolgt ein anderes Modell: Beide Elternteile haben einen gemeinsamen Anspruch auf Rund 480 bezahlte Tage. Wird die Elternzeit gleichmäßig aufgeteilt, lockt ein Bonus. Außerdem ist ein bestimmter Anteil ausschließlich für Väter reserviert. Er kann nicht abgetreten werden, ganz nach dem Prinzip „use it or lose it“. Auch Norwegen und Island entschieden sich daraufhin für eine sogenannte „Daddy-Quota“.
Gesicherte Kinderbetreuung erleichtert Job und Familienleben
Geht es um Kinderbetreuung, ist Deutschland formal gesehen eher weit vorn: Eltern in Deutschland haben das Recht auf einen Kindergartenplatz. Doch die Realität sieht meist anders aus. Die vorhandenen Kindergartenplätze decken nicht den Bedarf. Oft bleibt die einzige Option die meist privat eingekaufte Tagesbetreuung. Finanzielle Unterstützung durch den Staat gibt es, doch die Beträge unterscheiden sich von Kommune zu Kommune. Anders ist es in Norwegen. Schon ab dem ersten Lebensjahr des Kindes können sich Eltern sicher sein, dass ihr Kind einen Kindergartenplatz bekommt, und zwar von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags. Die Kosten sind stark subventioniert. Seit 2015 sind die Kosten für die Betreuung des ersten Kindes auf sechs Prozent des Familieneinkommens gedeckelt. Sozial schwache Familien profitieren von einer Anzahl kostenfreier Betreuungsstunden.
ArchitektInnen sollten den Arbeitsalltag flexibel gestalten können
Lange und unregelmäßige Arbeitszeiten sind keine Ausnahme für ArchitektInnen. Überstunden bei Wettbewerben oder Engpässen können vorkommen, sollten aber nicht vorausgesetzt werden. Insbesondere Eltern und Alleinerziehende können diese Flexibilität nicht leisten, oft zum eigenen Nachteil. Finnland setzt im neuen Jahr 2020 einen neuen „Working Hours Act“ in Kraft. Vollzeitbeschäftigte können dann entscheiden, wann und von wo sie arbeiten, zumindest für die Hälfte der Arbeitszeit. Auch individuelle Absprachen innerhalb des Büros können die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. So können sich beispielsweise zwei Personen im Rahmen eines Tandems oder „part-time-leadership“ eine Stelle oder ein Projekt teilen. Die norwegische Architektin Jette Hopp vom Architekturbüro snøhetta berichtet außerdem, dass es in Norwegen kaum Besprechung nach siebzehn Uhr gibt. Das ist alltagspraktisch und familienfreundlich.
Bis zur vollkommenen Geschlechtergleichheit in der deutschen Architekturbranche ist es noch ein weiter Weg. Alle oben genannten Beispiele sind Schritte in die richtige Richtung und vor allem gute Vorbilder, die man dringend benötigt. Einzelne Architekturbüros engagieren sich bereits für die Gleichberechtigung von Architekten und Architektinnen und entwickeln innovative Strategien. Die skandinavischen Länder zeigen jedoch auch, dass es dringend neue Richtlinien und Gesetze, sowie finanzielle Anreize braucht, die alte Rollenbilder aufbrechen und die Herausforderungen von Architektinnen verstehen. Und zwar nicht nur, weil sie Mütter werden.